Oberlandesgericht Hamm - Verkehrsordnungswidrigkeit (Rotlichtverstoß)

Beschluss vom 24.02.2006
4 Ss OWi 58/06

gegen XXX

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit (Rotlichtverstoß).

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Arnsberg vom 8. November 2005 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 24. 02. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gemäß § 80 a OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen.

Tenor:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 50,- EUR festgesetzt wird; die Anordnung des Fahrverbots entfällt.

Die Kosten der Rechtsbeschwerde und die dem Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen werden der Landeskasse auferlegt.

Gründe:

I.
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen eines fahrlässig begangenen sogenannten qualifizierten Rotlichtverstoßes - bei schon länger als einer Sekunde andauernder Rotphase eines Wechsellichtzeichens (Nr. 132.2 BKatV) - eine Geldbuße von 125,- EUR sowie ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt und folgende Feststellungen getroffen:

"Der derzeit 18 Jahre alte Betroffene absolviert eine Ausbildung als Verfahrensmechaniker. Straßenverkehrsrechtlich ist er bislang nicht in Erscheinung getreten. Am 16.01.2005 gegen 00:15 Uhr befuhr der Betroffene mit dem Pkw Ford Fiesta mit dem amtlichen Kennzeichen XXXXXXXX die Königsstraße in Arnsberg aus Richtung Tunnel kommend in Richtung Neumarkt. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf dieser Strecke ist auf 30 km/h festgesetzt. Der Betroffene hielt diese Geschwindigkeit ungefähr ein. Hinter dem Fahrzeug des Betroffenen fuhren die Zeugen W. und K. mit ihrem Polizeidienstfahrzeug.

Ansonsten herrschte zum damaligen Zeitpunkt kein Fahrzeugverkehr. Etwa auf halber Strecke der Königsstraße gegenüber dem Verwaltungsgericht befindet sich eine Fußgängerampel. Diese ist gewöhnlich ausgeschaltet, erst auf Anforderung per Knopfdruck durch einen Fußgänger schaltet die Ampel auf Grün, um dann nach wenigen Sekunden auf Gelb und Rot umzuspringen. Diese Fußgängerampel zeigte Rotlicht, als der Betroffene darauf zufuhr.

Die Fußgängerampel zeigte seit mindestens 5 Sekunden Rotlicht. Fußgänger waren in der Umgebung allerdings nicht zu erkennen. Der Betroffene übersah das Rotlicht der Fußgängerampel und fuhr ohne zu beschleunigen oder abzubremsen über die Haltelinie und den Überquerungsbereich und setzte seine Fahrt fort, obwohl die Ampel weiterhin Rot zeigte. Die Ampel zeigte immer noch Rot, als die Zeugen kurz hinter dem Betroffenen die Ampel passierten. Ein kurzes Stück später hielten sie das Fahrzeug des Betroffenen an."

Im Rahmen der Beweiswürdigung führt das Amtsgericht aus, trotz der Zeitspanne von knapp
11 Monaten seit dem Vorfall und zahlreicher anderer Verfahren in der Zwischenzeit hätten sich die beiden als Zeugen vernommenen Polizeibeamten noch sehr lebhaft und genau an den Vorfall erinnert, weil es auch für sie einen außergewöhnlichen Vorgang dargestellt habe, dass der Betroffene auf menschenleerer Straße, wo keine sonstige Ablenkung durch starke Beleuchtung, sonstigen Verkehr oder Ähnliches vorhanden gewesen sei, das Rotlicht der Ampel schlicht ignoriert habe. Der Ablauf habe sich nach Angaben der Zeugen von normalen Rotlichtverstößen unterschieden, bei denen Verkehrsteilnehmer beschleunigen, um die Ampel vor der Rotphase noch passieren zu können oder kurz abbremsen und dann doch weiterführen. Nach den übereinstimmenden Angaben der Polizeibeamten und des Betroffenen seien im Übrigen keine Fußgänger zu sehen gewesen.

II.

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner auf die Sachrüge gestützten Rechtsbeschwerde, mit der geltend gemacht wird, es habe sich um einen außergewöhnlichen Sachverhalt gehandelt, so dass kein Regelfall i.S.d. Nr. 132.2 BKatV vorliege.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen.

Das auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsmittel ist zulässig und begründet.

Das Amtsgericht ist bei der Festsetzung der Rechtsfolgen von einem Regelfall der Nr. 132.2 BKatV ausgegangen, ohne die besonderen Umstände zu berücksichtigen, die den Verstoß hier als weniger schwerwiegend erscheinen lassen und deshalb ausnahmsweise eine Abweichung von der Verhängung der Regelsanktionen rechtfertigen.

Der sogenannte qualifizierte Rotlichtverstoß nach Nr. 132.2 BKatV erlaubt eine schärfere Ahndung besonders schwerwiegender Rotlichtverstöße. In Fällen der Missachtung eines Wechsellichtzeichens bei einer Rotlichtdauer von mehr als einer Sekunde ist in der Regel eine zumindest abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zu unterstellen, weil sich der Querverkehr - insbesondere auch Fußgänger - nach dieser Zeit bereits im Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden kann. Trotz dieser aus § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BKatV folgenden Indizwirkung ist aber stets zu prüfen, ob der konkrete Fall Besonderheiten in objektiver oder subjektiver Hinsicht aufweist, die ihn, verglichen mit den vom Verordnungsgeber ins Auge gefassten typischen Begehungsweisen, als Ausnahme erscheinen lassen, so dass es angezeigt sein kann, von der Verhängung eines Fahrverbots als Besinnungs- und Denkzettelmaßnahme abzusehen.

Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn aufgrund aller Umstände selbst eine abstrakte Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer - Querverkehr oder Fußgänger - nicht in Betracht kommt (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 25 StVG Rdnr. 22; OLG Hamm, VRS 90, 453; BayObLG NZV 97, 320; OLG Brandenburg ZfSch 2003, 471; OLG Köln, VRS 92, 279 und VRS 98, 389).

Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen ist der Verstoß hier nachts zu verkehrsarmer Zeit begangen worden. Der Betroffene hielt, was die als Zeugen vernommenen Polizeibeamten als außergewöhnlich im Gedächtnis behielten, die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h ein. Eine Gefährdung des Querverkehrs (Fahrzeuge) war, da es sich um eine Fußgängerampel handelt, ausgeschlossen. Fußgänger waren auf der menschenleeren Straße ebenfalls nicht zu sehen, so dass auch insoweit eine Gefährdung nicht gegeben war.

Unter diesen Umständen stellt sich nach Auffassung des Senats der festgestellte Rotlichtverstoß nicht als einen von Nr. 132.2 BKatV erfassten Regelfall dar.

Aufgrund der rechtsfehlerhaften Annahme eines Regelfalles war der Rechtsfolgenausspruch somit aufzuheben.

Da nicht zu erwarten ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung ergänzende Feststellungen getroffen werden können, hat der Senat von der Möglichkeit des § 79 Abs. 6 OWiG Gebrauch gemacht und in der Sache selbst entschieden.

Bei der Bemessung der neu festzusetzenden Sanktion ist nach Auffassung des Senats der dem Betroffenen vorzuwerfende Pflichtenverstoß in seiner Intensität dem sogenannten einfachen Rotlichtverstoß nach Nr. 132 BKatV gleichzustellen. Es war daher auf die dort vorgesehene Regelbuße von 50,- EUR zu erkennen. Die Verhängung eines Fahrverbots entfällt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 467, 473 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG und trägt dem Umstand Rechnung, dass der Betroffene sein mit der Rechtsbeschwerde verfolgtes Ziel erreicht hat.

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